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CAP. 5-6. 17

fuit. vixeruntque mira concordia, per mutuam caritatem et invicem se anteponendo, nisi quod in bona uxore tanto maior laus quanto in mala plus culpae est. Sors quaesturae provinciam Asiam, proconsulm Salvium Titianum dedit ;

gewährte ihm grosseres äusseres Ansehen (decus) und diente ihm zugleich als Forderungsmittel (robur) zur Erlangung der Ehrenstellen.

5. invicem se anteponendo d.h. indem ein Theil den andern iibcr sich selbst stellte, hoher als sich selbst schatzte — bekanntlich im ehelichen Verhaltniss, wie in der Freundschaft, Wirkung und Kenn- zeichen der wahren Liebe und die Bedinguug des dauernden eintrach- tigen Zusammenlebens. Dass Ub- rigens Tacitus, wie aus der Stelle hervorgeht, dies erkennt und fUhlt, ist ein Beweis der Zartheit seines Familiensinns , die, deu Komern sonat wie den Griechen ursprting- lich fremd, sich besouders deut- lich auch in der Schlusspartie un- sercr Schrift ausspricht. nisi quod in bona uxore tanto maior laus, quanto in mala plus ctUpae esL In den vorausgencn- den Worten ist zwar nicht aus- driicklich gesagt, aber doch deut- lich geuug enthalten, dass beide Gatten gleich vortreffljch gewesen ; dies liegt sowohl in der mutua ca- ritas als namentlich in dem invi- cem se anteponendo; denn wie hatten sich beide, ein jeder Thcil den an- dern, sonst so hoch schsltzen konncn? Mit dem nisi quod wird nun in einer dem Tacitus sehr gelaufigen und von ihm^ mit einer grosseren Freiheit als von anderen Autoren angewendeten Weise eine Ein- schrlinkung dieses Urthcils der GleichstelluDg und zwar zu Gun- sten der Gattin hiuzugefugt, wie z. B. Ann.ill, 1 : neque discerneres proximos alienos, virorum femina- rumve planctus^ nisi quod comita- tum Agrippinae longo moerore fes- sum obvii et recentes in moerore anteibant, YI, 24: potuisse avum audire, legere, in publicum promere vix fidesy nisi quod Attii centurio- nis et Didymi liberti epistulae ser- vorum nomina praeferebantj ut quis egredieutem cubiculo Drusum pul' saveraty exterrueraty XIV, 14. Hist. III, 28; vgl. unt. c. 6: nisi quod innocens Bolanus etc. Diese Ein- schr&nkung aber wird durch den allgemeinen Satz begrandet, dass tiberhaupt eine gute Frau in eben dem Masse ein grOsseres Lob ver- diene, wie die schlechte Frau cine grossere Schuld treffe: ein Satz, ftir den ein (von Walch an- geftihrtcs) Fragment des Euripides

(Melan, XIY. Dind.) :

Τῆς μὲν κακῆς κάκιον οὐδὲν γίνεται
γυναιός, ἐσθλῆς δ᾽οὐδὲν εἰς ὑπερβολὴν.
πέφυκ᾽ἄμεινον,

eine nicht unpassende Parallele bietet, und der sich auch vom Standpunkt des Tacitus vollkom- men rcchtfertigen uud erklaren lllsst. Das Yerdienst d^r guten Frau ist deswegen ein hdheres, weil das weibliche Geschlecht schwd,cher ist (Ann. III, 34 : sexus natura invalidus)^ und weil die Gattin mit ihrer Treue und ihren h3,uslichen Tugenden den ganzen Krcis ihrer Pflichten vollkomme- ner, als es dem Maune moglich ist, ausftillt, und ferner, weil schlechte Frauen, wenn einmal schlecht, nach Tacitus auf der Bahn der Laster und Yerbrcchen um so weiter vor- zugehen pflegen, s. Ann, III, 33: sexum . ., si ticentia adsit, saevum, ambitiosumy potestatis avidum, IV, 3: neque femina amissa pudicitia alia abnuerit , je mehr ihnen aber dies zur Schuld angerechnet wird, um so mehr muss ihr Yerdienst, wenn es vorhanden ist, anerkannt und gelobt werden. . Salvius Titianus, der Bruder des Kaisers Otho, s. Hist. I, 75. 77. 90. II , 23. 39. 60. An lctzte- rer Stelle heisst es von ihm: pie- tate et ignavia excusatus. quorum neutro : durch keinen die- ser beiden Umsttode, weder da- durch, dass er Asien zur Provinz, noch dadurch, dass er den Salvius Titianus zum Proconsul erhielt.